Es ist ein warmer Morgen in Kyoto und wir hetzen schnell zum Bahnhof um unseren Zug in Richtung Präfektur Nara zu bekommen. Es ist unser erster Teegartenbesuch nach drei Jahren Pandemiepause. Prompt vergessen wir Notizblock und Stift und gehen deshalb noch einmal zurück ins Zimmer. Aufregung liegt in der Luft, aber positive Aufregung, Vorfreude.

Am Bahnhof unweit des Suikyo Teegartens werden wir gleich herzlich empfangen. Für den Nachmittag ist Regen angekündigt, sodass wir gleich absprechen  erstmal in die Teegärten zu fahren und uns dann erst im Anschluss zum Essen und Besprechen  zusammensetzen. Luna hatte am Telefon, als wir vor zwei Wochen unsere Reisepläne besprochen haben angekündigt, dass möglicherweise an unserem Reisetag die Ernte beginnen könnte. Zu diesem Zeitpunkt war es außergewöhnlich warm. Da es zwischendrin aber noch einmal einen Kälteeinbruch gab, ist die Ernte nun doch nicht so früh und soll erst in den nächsten Tagen beginnen. Fumiaki sagt, in den 20 Jahren in denen er nun schon Tee produziert, hätte es bei dem ursprünglichen Plan, sonst noch kein so frühes Jahr gegeben. Durch den Kälteeinbruch ist der Erntezeitpunkt in diesem Jahr nun wieder vergleichsweise normal bis ganz leicht früher, so wie das auch unsere Partner in Kyushu berichtet haben.

Das Wetter in Nara in diesem Frühjahr war wirklich außergewöhnlich, zunächst sehr warm, dann kamen plötzlich Unwetter mit Tischtennisball-großen Hagelkörnern, dann wurde es wieder warm und jetzt noch einmal kurz kühl. Glücklicherweise gab es keine Frostschäden. Das lag einerseits an den guten Vorbereitungen. In den letzten Jahren wurde in Ventilatoren investiert, die die Pflanzen vor der sich absenkenden Luft schützt, andererseits ist es dann doch nicht so kalt geworden.

Suikyo haben einige Kunden, die dem Shincha, also den neuen Tee richtig entgegenfiebern. Für diese Kunden sind schon Umschläge vorbereitet, sodass der Tee direkt am Ende des Ernte- und Verarbeitungstages verschickt werden kann. Luna spricht mit uns ab, dass wir auch so einen Umschlag erhalten werden und fragt uns nach unserer Unterkunft in den nächsten Tagen. Wir sind schon ganz aufgeregt zu probieren, denn bisher kennen wir hauptsächlich die Tees, die sie zunächst ablagern lassen und dann erst zum Verkauf freigeben. Sie beschreiben, dass der frische Shincha noch eine gewisse Schärfe hat, die aber schnell vergeht, sodass dieser Geschmack nur für kurze Zeit erlebbar ist. Auch für uns macht das den besonderen Reiz des Shincha aus – auch von den anderen Betrieben, von denen wir alljährlich Shincha bekommen.

Bei der Fahrt zur ersten Parzelle für unseren heutigen Rundgang, die den Namen Miyayama trägt passieren wir die Grenze zwischen Nara und der Präfektur Kyoto in beide Richtungen. Der Teegarten liegt direkt am Berg, der Bergkamm ist die Präfekturgrenze. Es ist einer der ältesten Gärten von Suikyo, der schon seit 1984 biologisch bewirtschaftet wird. Es ist eine dieser Parzellen, die schwer zu bewirtschaften sind, da der Hang extrem steil ist. Die meisten Betriebe geben solche Gärten auf, weil die Arbeit zu beschwerlich ist, Fumiaki legt sogar noch neue Teeberge an. Er beschreibt uns, dass das Wurzelwachstum an der Hanglage ganz anders ist und, dass selbst die Stecklings-gezogenen Pflanzen tiefer reichende Wurzeln an solchen Standorten ausbilden. Dieser Teeberg ist leicht nach Südosten ausgewichtet, sodass er schon früh Sonne erhält, während von Westen Bäume die Pflanzen vor kaltem Wind bewahren. Durch diese speziellen Bedingungen, ist dies der erste Teegarten, der geerntet werden kann. Von hier wird dann also unsere kleine Shincha-Probe herkommen. Es ist auch interessant zu beobachten, dass die Sae Midori Sträucher, die leicht nach Südwesten ausgerichtet wachsen, sogar etwas weniger weit ausgetrieben sind, als die Yabukita-Sträucher, die nach Südosten ausgerichtet sind. Eigentlich gilt Sae Midori als frühere Strauchsorten, während Yabukita den Nullpunkt, also Standard markiert. Das Mikroklima hat demnach einen erheblichen Einfluss auf das Pflanzenwachstum.

Yabukita Sträucher in der Parzelle Miyayama für Suikyos Shincha 2023

Zum Mikroklima zählt natürlich auch die Bodenbeschaffenheit. Da der Teegarten hier schon so lange von Ihnen bewirtschaftet wird, ist das Bodenleben sehr aktiv. Die Gräser und Blätter, die für die Düngung im letzten Jahr ausgebracht wurden, sind schon komplett verrottet. Auch beschreibt Fumiaki, dass man die Beschaffenheit des Geruchs des Bodens im Tee wiederfinden kann. Es geht hierbei nicht um den tatsächlichen Geruch, sondern z.B. wo man den Geruch wahrnimmt. Für Miyayama gilt, dass der Geruch eher vorn an der Nase wahrgenommen werden kann. Diese Tees gelten bei Suikyo als eher leicht verständliche Tees. Als Vergleich nennt er den Geruch von Yakkendo, der Parzelle, von der unser Woodwind kommt. Hier ist der Boden lehmig und der Geruch der Erde ist tiefer im Rachen wahrzunehmen. Tees von solchen Lagen sind etwas komplexer im Geschmack. Fumiakis Ziel ist es, die Landschaftsform und auch die Bodenbeschaffenheit in dem jeweiligen Tee zur Geltung zu bringen. An neue Projekte geht das Team dabei mit großer Offenheit und Experimentierfreude heran. Sie sagen, dass durch den Klimawandel ohnehin nicht klar ist, wie sich die klimatischen Rahmenbedingungen zukünftig entwickeln werden, daher probieren sie vieles aus und beobachten auch wie sich die Pflanzen über die Jahre entwickeln und wofür sie sich am besten eigenen. Ihre Teeproduktion lässt sich als Zusammenspiel aus Natur, Ideen und der Produktionsrealität beschreiben. Dabei kommt ihnen zugute, dass der Betrieb viele sehr verschiedene Parzellen umfasst, sodass das Team viel Material für Vergleiche zur Verfügung hat. Im Gegensatz zu normalen Bio-Betrieben, die ein auf Boden-Laboranalysen gestütztes Düngemanagement haben, dreht sich bei Suikyo alles um die Zyklen der Natur und das künstlerische Geschick, diese Zyklen im Tee zur Geltung zu bringen.

Bodenbeschreibung in Miyayama

Auch das Alter der Teebüsche hat einen Einfluss auf den Geschmack. Hinsichtlich der Balance aus Umami und Amami beschreibt Fumiaki, dass die älteren Sträucher eher zu einem stärkeren Amami tendieren, also einer deutlich ausgeprägteren Süße. Das liegt vor allem an den dickeren und tieferen Wurzeln, die mehr Kohlenhydrate speichern können.  Auch ist der Einfluss der Düngung nicht mehr so stark bei den älteren Büschen, was auch dazu führt, dass durch Düngung der Umami Geschmack nicht mehr gesteigert werden kann. Hierin liegt einer der Gründe, neben dem etwas geringeren Ertrag, dass in den meisten Gärten die Sträucher nach 30 bis 40 Jahren ausgetauscht werden. Fumiakis Geschmacksideal liegt aber tatsächlich eher bei einem süßen duftigen Tee. Dafür eignen sich die alten Pflanzen wiederum ganz hervorragend.

Humusprobe in Miyayama – Mulch vom letzten Jahr komplett umgesetzt

Bevor wir in die kleine Teefabrik gehen, schauen wir uns noch die Parzelle an, auf der für den Suikyo Asamidori die Varietäten Okumidori und Yabukita wachsen. Beide Varietäten wurden im Juni letzten Jahres tief heruntergeschnitten. Hier erklärt uns Fumiaki den Unterschied zwischen gajû („Triebe schwer“) und gasû Tees („Triebe Anzahl“). Teebüsche werden als gajû bezeichnet, wenn sie kurz nach dem Runterschnitt wenige dicke Zweige aufweisen und die neuen Triebe wegen geringer Lichtkonkurrenz große Blätter bilden können. Gajû-Tees haben dabei einen Intensiven Geschmack, während der Duft aus dem Geschmack heraus kommt, also eher tief wahrgenommen werden kann. Der Geschmack bleibt dabei lange im Mund wahrnehmbar. Teebüsche, die sehr viele dünne Zweige und dann auch viele Triebe mit aufgrund von Lichtkonkurrenz kleinen Blättern ausbilden, werden als gasû bezeichnet. Gasû-Tees sind duftig-leichte Tees, bei denen sich der Geschmack aus dem Geruch heraus entwickelt. Man könnte sagen, es sind Tees mit deutlichen Kopfnoten, die beim Trinken schnell in die Nase steigen. Ein Zyklus geht dabei immer von gajû, ein Jahr nach dem Runterschnitt zu gasû, also sehr dicht verzweigten Büschen und dann wieder von vorn. Nach dem Runterschnitt spricht man von einem gajû-Tee, während dicht verzweigte Büsche einen gasû Tee hervorbringen. Um wieder einen ausgewogenen Tee zu erhalten, möchte Fumiaki in diesem Jahr noch etwas Oku Midori von einem anderen Feld, das eher einen gasû Tee hervorbringen wird einmischen.

Gajû Oku Midori
Gajû Yabukita
Gasû Zairai

In der Teefabrik ist alles schon auf die bald beginnende Erntezeit vorbereitet. Das interessante an dieser Teefabrik ist die Vielseitigkeit. Obwohl die Fabrik nicht groß ist, besteht die Möglichkeit sowohl Sencha, als auch Kamairicha, wie auch  Mushi-sei Tamaryokucha herzustellen. In einem Nebenraum sind dann noch Anlagen für die Schwarzteeproduktion. Wobei auch bei der Schwarzteeproduktion verschiedene Produktionsabläufe für leichte gelbe Schwarztees bis hin zu tief roten Schwarztees möglich sind. Vieles ist hier selbst gebaut. Denn für experimentelles Arbeiten und eigene Abläufe gibt es keine passenden Maschinen.

Noch ruhen die Teeverarbeitungsmaschinen

In dem Teil der Teefabrik, der für die Schwarzteeherstellung genutzt wird, finden wir eine alte Maschine, die ein Stück japanische Teegeschichte erzählt. In den 1950er Jahren, aus denen diese Maschine stammt, war Japan noch ein Schwarztee-Exportland.

Schwarztee-Rollmaschinen aus den 1950er Jahren

Vor allem politische Krisen in den typischen Schwarzteeländern Indien und China haben zu einem Boom des japanischen Schwarztees beigetragen. Eine eigene Schwarztee-Kultur im Inland hatte sich dabei hingegen nicht entwickelt. In den 1970ern hat sich dann die Politik entschieden den Schwarztee-Export nicht weiter zu unterstützen, weil in den anderen Ländern die Schwarzteeproduktion wieder aufnahm und große Mengen zu günstigen Preisen für den Weltmarkt bereitstellte, was die Schwarzteeproduktion in Japan praktisch völlig zum Erliegen brachte. Heute gibt es wieder ein Revival des Wa-Koucha, also des japanischen Schwarztees, und es baut sich auch eine eigene Schwarztee-Kultur darum auf. Der Maschinenhersteller für Schwarzteemaschinen hat diese Schwankung fast in den Bankrott getrieben. Heute werden auf Anfrage wieder Schwarzteemaschinen hergestellt. Bei Suikyo finden wir zum Beispiel auch noch eine Etagenwelkmaschine von diesem Hersteller. Auf 5 Ebenen können frische Teeblätter gewelkt werden, was den ersten Schritt bei der Schwarzteeproduktion darstellt. Fumiaki nutzt bei diesem Gerät jedoch lediglich maximal 3 Ebenen. Er sagt, sonst wird die Qualität nicht so gut.

Schwarztee-Welkmaschine

Eine Ebene höher haben sie eine Zwischendecke in die Fabrik eingezogen um im oberen Teil einen Raum zum Welken zu haben. Hier welken die Teeblätter ganz klassisch in nur einer Lage und guter Durchlüftung.

Welkkästen im oberen Teil der Teefabrik

Für den gewelkten Grüntee Suikyo Woodwind werden diese Anlagen jedoch nicht genutzt. Der Grüntee wird draußen, bei schönem Wetter, im Wald gewelkt. Das hatten wir bei unserem letzten Besuch schon umfassend beschrieben. Fumiaki sagt, dass diese Methode, auch wenn sie sehr aufwendig und wettersensitiv ist, bei der Grünteeproduktion den Tee mit dem besten Welkduft hervorbringt.

Nachdem wir jeden Winkel der Fabrik ansehen durften, und von den vielen Informationen etwas überwältigt waren, fuhren wir ins Haus von Luna und Fumiaki um Pläne für die Zukunft zu schmieden, neue Teesorten zu besprechen, aber auch um uns etwas zu stärken. Der Frühling ist dabei immer eine wunderbare Zeit für sansai (Berggemüse). Das umfasst neben Warabi (Farnsprossen), das oft um die Teegärten herum wächst auch Beifuß-artige Gewächse, die dann fermentiert oder zu Tempura verarbeitet werden. Gut gestärkt und mit dem Kopf voller interessanter Informationen und Ideen verlassen wir diese malerische Gegend um zurück zu unserer Homebase nach Kyoto zu fahren.

Yakkendo Parzelle, von der der Suikyo Woodwind stammt