Nachdem wir in den letzten Tagen bereits die höchsten Qualitäten der Morimotos (GO EN, Tokujou Kabusecha, Fukamushi Sencha und Tokujou Sencha) gemeinsam mit Shigeru final erhitzt und sortiert haben, sind nun bereits die meisten Kisten gepackt, und stehen sicher im Kühlraum, bis sie für den kurz bevorstehenden Transport zu uns nach Frankfurt abgeholt werden. Wir haben also alles geschafft, was wir uns vorgenommen haben, um nun den Rückweg über mehrere besondere Stationen in Kyushu und Honshu anzutreten, um schließlich in etwa einer Woche wieder in Osaka unseren Flug zurück nach Deutschland zu nehmen. Nach knapp drei stündiger Fahrt stellen wir in Kagoshima schnell unsere Koffer ab, kaufen noch ein paar Kleinigkeiten zu Essen und fahren gleich weiter in die Nachbarpräfektur Kumamoto zu Sakura-No En, mit denen wir nun bereits seit acht Jahren zusammenarbeiten. Schon bei unserer Terminabsprache kündigt uns Satomi Matsumoto an, dass ihr Mann Kazuya am Tag unseres Besuchs bis in den frühen Nachmittag hinein noch Tee verarbeiten wird. Zum Glück kann heute die Großmutter auf die Kinder aufpassen, sodass Satomi mit uns in die Teegärten fahren kann.

Nachdem wir den Teegarten, in dem vor allem Yabukita- und Sayama Kaori Sträucher für den Shincha Moe und Sakura-No Sencha wachsen, besichtigt haben, fährt uns Satomi zur Teeverarbeitungsanlage. Hier ist Kazuya Matsumoto gerade noch dabei die letzten Etappen der Aracha-Produktion durchzuführen. Inzwischen packt er den Aracha, also den vorverarbeiteten Tee, in 20kg Vakuumverpackungen für die mittelfristige Einlagerung bis zur finalen Verarbeitung zum Sakura-no Sencha. Heute hat er unbeschattete (roji) Blätter der Yabukita aus Naturanbau (shizen-saibai) verarbeitet – ein Bestandteil für den Sakura-No Sencha. Kazuya Matsumoto versucht bei seinen Natur-Anbau-Feldern so weit wie möglich menschliche Eingriffe zu vermeiden. So verzichtet er also auch auf Bodenbearbeitung und Düngung. Diese Anbauform praktiziert er allerdings nur an ganz bestimmten Standorten seiner Teegarten-Parzellen, die mitten im Wald gelegen sind, sodass Nährstoffe aus den Wäldern auch in den Teegarten gelangen können. Der Sakura-No Sencha, für den heute ein Bestandteil vorverarbeitet wurde, besteht zu etwa 50% aus Kabusecha, den Kazuya organisch düngt. Die anderen etwa 50% stammen aus Naturanbau und werden nicht beschattet. Kazuya Matsumoto erntet und verarbeitet zuerst alle Bestandteile des Sakura-No Sencha einzeln, lagert den Aracha gekühlt ein, solange bis alle Bestandteile einzeln im Zustand des Aracha vorliegen. Erst dann erstellt er den Blend für den Sakura-No Sencha, weshalb dieser dann erst etwa einen Monat nach dem Shincha Moe fertig ist.

Während Satomi mit ihrem kleinen Lieferwagen die Kisten mit dem heute produzierten Aracha zum Haus der Matsumotos fährt, wo sich das Kühllager befindet, bringt uns Kazuya zu dem am höchsten gelegenen Teegarten der Familie, der etwa 600 m über dem Meer liegt. Wie auch in den letzten Jahren, wenn wir mit Kunden bei Sakura-No En zu Besuch waren, fallen nun auch schon wieder die ersten Regentropfen, bis schließlich ein unaufhörlich starker Regen beginnt. Die Teegärten versinken in einem dichten Nebel.

Auf dem Hof angekommen zeigt uns Kazuya noch die vor einem Tag geernteten Zairai-Blätter für den Sakura-No Kamairicha. Kazuya lässt die Blätter für seinen Kamairicha immer 36 Stunden lang unter Luftzirkulation leicht welken, um die Bedingungen, unter denen vor etwa 100 Jahren produziert wurde so weit wie möglich nachzuempfinden. Während heute fast ausschließlich maschinell geerntet wird, wodurch die Teeblätter schneller geerntet werden können, wurde vor 100 Jahren noch vorwiegend mit der Hand geerntet. Auf dem Weg zur Verarbeitung, der heute mit dem Auto, damals aber zu Fuß zurückgelegt wurde, welkten die Blätter damals, was Kazuya Matsumoto nachempfindet, um einen wirklich traditionellen Tee herzustellen. Alle paar Stunden kontrolliert er dabei, ob die Blätter so welken, wie er es sich vorstellt. Sie sollen in keinem Fall warm und rötlich werden. Um das zu verhindern, wird von unten kalte Luft durch die Blätter geblasen. Beim Transport mit einfachsten Mitteln bis zum Ort der Teeverarbeitung wurden vor 100 Jahren die Blätter durch die Laufbewegungen immer wieder bewegt, sodass nur eine leichte Wärmeentwicklung stattfinden konnte.

Die Verarbeitung zum Sakura-No Kamairicha ist für den nächsten Tag angesetzt. Während die gedämpften Tees von Sakura-No En in einer Gemeinschaftsanlage, die die Matsumotos mit einigen weiteren Teegärten teilen, verarbeitet werden, produziert Kazuya den Kamairicha in einer kleinen alten Holzfabrik direkt am Haus.  Da die Geräte hier sehr einfach aufgebaut und zudem recht klein sind, ist die Menge vom Sakura-no Kamairicha , die hier hergestellt werden kann, auch sehr begrenzt – eine wirkliche Rarität.

von Satomi Matsumoto selbst gebackener Matcha-Kuchen

Im Haus trinken wir die neuen Tees dieses Jahres, darunter unter anderem den Shincha MOE, und kommen noch auf ein anderes Thema zu sprechen. Im vergangenen Jahr hat Kazuya ein neues Projekt gestartet. Er stellte erstmalig Matcha aus vier Wochen beschatteten Zairai Sträuchern her. Natürlich kam von der europäischen Seite(, die überzeugt ist, dass Matcha zwangsläufig aus Tencha hergestellt werden müsse, wie es die großen Matcha-Konzerne seit Jahren lautstark verkünden) die Frage, ob Herr Matsumoto denn Tencha herstellen könne. Kazuya Matsumoto erklärt uns daraufhin ein anderes Verfahren um feinen zeremoniellen Matcha herzustellen, von dem wir vor einigen Tagen auch schon von Mankichi Watanabe einiges gehört haben: nämlich die Herstellung von Matcha aus Moga, die historisch betrachtet schon deutlich früher üblich war, als die Herstellung von Matcha aus Tencha, die heute oftmals fälschlicherweise als die einzige historische Herstellungsweise propagiert wird.

Wie es bei Kazuya Matsumoto üblich ist, erntet er sehr fein – also nur die zwei kleinen obersten Blätter und die Blattknospe. Die Blätter für die Herstellung von Moga werden dann genau wie bei der Tencha-Herstellung sehr flach gedämpft (noch weniger tief als „normales“ asamushi). Im Anschluss folgt die Auflockerung der Blätter. Im Gegensatz zur Sencha Herstellung werden die Blätter gar nicht beziehungsweise sehr kurz mit sehr geringem Druck geknetet, wodurch die Zellstruktur weitgehend erhalten bleibt, ganz anders als bei Sencha, für den die Zellstruktur aufgebrochen werden muss. Auch das Rollen zu Nadeln fällt bei der Herstellung von Moga natürlich weg. Der Moga-Aracha hat am Ende eine sehr lockere Struktur, die viele Gemeinsamkeiten mit Tencha hat. Von den großen Matcha-Verarbeitern hört man immer wieder, dass das Entfernen der Blattrippen sehr wichtig sei, um feinen zeremoniellen Matcha produzieren zu können. Kazuya Matsumoto entfernt die Blattrippen nicht und doch ist sein Matcha auf demselben Niveau, auch was den Grad der Feinheit anbelangt, denn schließlich ist seine wichtigste Kundin für seinen Moga-Matcha aus Zairai eine Teelehrerin in Tokyo, die auf höchste Qualitäten setzt.

Moga-Aracha: vor dem Vermahlen zu Matcha wird der Moga-Aracha natürlich noch sortiert.

Herr Matsumoto erklärt uns, dass die Pflanzen sehr unterschiedlich sind. Während die Zairai-Büsche, die er verwendet, sehr klein-blättrig sind, werden in Uji – dem wohl bekanntesten Ort für die Herstellung von Matcha – eher groß- und dickblättrige Teesträucher angebaut. Das hat einerseits mit dem Klima und der Wahl der Strauchsorten, andererseits aber auch mit dem Anbausystem zu tun. Kazuya erklärt uns, dass die Pflanzen bei intensiver Düngung stärkere und festere Blattvenen bilden. Da in Uji in vielen Gärten sehr stark gedüngt wird, ist es notwendig die Blattvenen zu entfernen, da diese sonst den Geschmack und die Textur des Matcha beeinflussen würden. Kazuya Matsumoto verwendet kleinblättrige Zairai-Sträucher aus Naturanbau (shizen-saibai), die gar nicht gedüngt werden. Bei diesem Blattgut ist es gar nicht möglich die Blattrippen zu entfernen, da diese kaum vom Blattfleisch zu unterscheiden sind, wodurch eine Trennung sowohl nicht sinnvoll als auch technisch nicht möglich wäre.

Was für manch einen Tee-Experten allerdings erst einmal ungewohnt klingen mag, ist die Tatsache, dass die Herstellung von Matcha aus Moga die ältere Herstellungsweise darstellt, im Vergleich zur sonst üblichen Herstellung von Matcha aus Tencha als Produktionsvorstufe. Für die in Japan ansässigen Tee-Experten, die sich gerade auch mit dem Weg des Matcha im Zusammenhang mit der Meditationskultur des Buddhismus aus China nach Japan beschäftigt haben, ist dies vermutlich keine Neuigkeit. Tencha-Öfen gibt es schließlich noch nicht allzu lange. Daher sind sie nicht vor allem als alte Art der Matcha-Herstellung anzusehen, sondern stellen viel mehr eine Professionalisierung und weitere Technisierung der Matcha-Herstellung dar. Diese hat selbstverständlich ihre Berechtigung und vermag auch hervorragende Qualitäten hervorzubringen, obgleich sie nicht den Anspruch als einzig richtige Herstellungsart beanspruchen möchte. Ob der hergestellte Matcha letzlich ein wirklich hohes qualitatives Niveau erreicht, hängt von einen ganzen Reihe von Faktoren ab, wobei die Qualität des verwendeten Blattguts mindestens eine genauso wichtige Rolle spielt, wie die Vorgehensweise bei der Trocknung, als auch die Art der verwendeten Mühle.

Am Ende unseres Gespräches fragen wir Kazuya, was für ihn einen traditionellen Matcha auszeichnen würde. Wir fragen das, weil von Seiten der großen Matcha-Firmen immer wieder betont wird, dass echter Matcha nur aus Tencha hergestellt werden darf. Das steht der Tradition nun aber entgegen. Kazuya Matsumoto antwortet auf unsere Frage, dass die Beschattungsdauer für ihn wichtig ist, drei Wochen sollten es mindestens sein. Darüber hinaus sollten die Blätter von Zairai-Sträuchern geerntet werden, denn Sen no Rikyû, der bis ins heutige Zeitalter wohl bekannteste Lehrer der japanischen Teezeremonie, dessen stilistischer Einfluss die gesamte japanische Teekultur zu beeinflussen vermag, verwendete auch nur Matcha aus Zairai-Sträuchern. Warum? Die heute bekannten Strauchsorten, die die Zairai-Sträucher inzwischen weitestgehend verdrängt haben, existierten zu Zeiten des alten Meisters Rikyû noch nicht. Die modernen Stecklings-Sorten entstanden erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts, in der die japanische Teeherstellung zeitgleich eine starke Industrialisierung erlebte. Die weiteren Verarbeitungsschritte, ob nun Moga oder Tencha hergestellt würde, ob die Blattrippen nun entfernt würden oder nicht, ob auf der Steinmühle oder einer anderen fein pulverisierenden Mühle gemahlen würde, all das bezeichnet er als rein technische Fragen. Am Ende zählt hinsichtlich der Vermahlung für Herrn Matsumoto auch die Feinheit des Matcha.

Pro Jahr werden nur 10kg vom Sakura-no Matcha hergestellt. Hauptsächlich geht er an eine kleine Teeschule in Tokyo, die ausschließlich Tee aus natürlichem Anbau verwendet, und damit dem eigentlichen Ideal der Teezeremonie, der Verbindung mit der Natur, Rechnung trägt.