Wir stellen abends von Tag zu Tag erneut fest, dass unsere Tage ganz schön vollgepackt sind. In einer derartigen Weise, dass wir seit unserer Ankunft nicht ein einziges Mal die Zeit hatten zu Mittag zu essen. Morgens brechen wir direkt nach dem Frühstück auf, und sobald wir wieder in unser kleines Holzhaus in Kyoto zurückkehren, ist es schon kurz vor Mitternacht, dass man unsere Mahlzeit kaum noch Abendessen nennen kann.

Doch, wir sind von den vielen interessanten und inspirierenden Begegnungen so fasziniert, dass uns das fehlende Mittag- und Abendessen so recht erst abends bewußt wird, wenn der Hunger so richtig groß ist. Wirklich erfreulicherweise, haben wir in diesem Jahr keinerlei Probleme mit dem Schlafen, so als ob es gar keinen Jetlag bei uns geben würde. Wir konnten uns dieses Jahr viel schneller an die japanische Zeit anpassen als die letzten Male.

In diesem Jahr widmen wir uns einer Reihe von Kontakten, die wir schon im letzten Jahr angebahnt haben. Es wird in Japan im Regelfall als unhöflich empfunden, mit der Tür ins Haus zu fallen, weshalb wir unsere Beziehungen in Japan möglichst eher langsam angehen. Geduld und Ausdauer sind ja sehr wichtige Tugenden, nicht nur in Japan.

In diesem Sinn besuchen wir vormittags eine ältere Dame, Frau Sawada, die uns im vergangenen Jahr bei unserem ersten Treffen die Unterschiede verschiedener seltener Hölzer bei der Herstellung japanischer Räucherstäbchen erklärte. Damals entschieden wir für uns zwei verschiedene Sorten, Byaku (Byakudan) und Jin (Jinko), die wir bei ihr kauften, um sie erstmal selbst in der entsprechenden Umgebung ausprobieren zu können. Da wir nach einem Jahr, in dem wir diese besonderen Räucherstäbchen von Zeit zu Zeit selbst verwendeten, so begeistert sind von den feinen und außergewöhnlichen Düften des Räucherwerks, beschlossen wir in diesem Jahr einige Schachteln mit nach Europa zu bringen.

Edle Räucherstäbchen von Frau Sawada

Mittags eilen wir in wenigen Minuten von Frau Sawadas Werkstatt zur Kyoto Station, um unseren Zug zu erreichen, denn nachmittags sind wir noch in einem besonderen Teegarten, der etwas weiter weg, verborgen in den Bergen liegt, verabredet, mit dem wir seit einigen Monaten bereits über die Ferne in Kontakt stehen. In Frankfurt durften wir schon einige Tees des Gartens trinken, die uns sehr begeisterten. Heute treffen wir uns nun zum ersten Mal persönlich.

Vom Bahnhof werden wir abgeholt und fahren nun noch mit dem Auto knapp eine halbe Stunde durch bergiges Land. Am Haus der Familie angekommen, werden wir vom Bio-Teegartenbesitzer begrüßt. Er ist auch derjenige, der sich um die Teegärten, also den landwirtschaftlichen Teil der Arbeit kümmert, und zudem die Sencha-Verarbeitung durchführt. Mit ihm fahren wir zu den vielen kleinen Teegarten-Parzellen. Durch die vielen unglaublich schmalen Wege und steilen Auf- und Abfahrten, engen Kurven und schwindelerregenden Steigungen haben wir das Gefühl in einer Tee-Achterbahn zu fahren. Doch das heutige Wetter in der hiesiger Gegend von starken Regenfällen geprägt ist, können wir nicht so viel Zeit in den Teegärten verbringen.

vegan gedüngte Bio-Zairai Sträucher

Gleich beim ersten Feld werden wir von einem Fuchs begrüßt, der gerade durch das Teefeld streift. Es handelt sich hier natürlich um einen Bio-Teegarten, der nicht nur Füchse, sondern auch anderen Tiere willkommen hießt. Dass der Fuchs hier zu sehen ist, hat aber vor allem mit der üppigen Natur um die Felder herum zu tun. Da es auch in Japan eine sehr starke Landflucht gibt, liegen immer mehr Felder brach und verwildern nach und nach. Innerhalb weniger Monate entwickelt sich ein kleiner Dschungel aufgrund des feucht-warmen Klimas in Japan, das dem Wachstum von wilden Gräsern und Buschwerk immensen Vortrieb verleiht.

Uns wird erklärt, dass die Familie zwei verschiedene Arten von Tee-Parzellen betreibt, zum einen „Teefelder“ und zum anderen „Teeberge“. Teefelder sind in dieser Logik eingeebnete relativ waagerechte, flache Parzellen. Die Teeberge hingegen sind bepflanzte zum Teil sehr steile Hänge, die sehr schwierig zu bewirtschaften sind. In vielen Regionen haben wir solche Steillagen gesehen, die jedoch mehr und mehr verwildern, also nicht mehr genutzt, oder aber abgetragen und eingeebnet werden. Hier, in diesem Teegarten werden sogar neue Gärten in Steillagen angelegt. Es wird dabei viel Wert darauf gelegt die ursprüngliche Bergform zu bewahren. Die Teepflanzen-Reihen passen sich also der Topographie des jeweiligen Berges an. Mehr und mehr verstehen wir, dass dieser Garten das komplette Gegenmodell zur modernen Teeproduktion darstellt, und dies aus vielerlei Gründen. Ein Großteil der Pflanzen ist zudem aus Samen gezogen. Es handelt sich jedoch nicht nur um Zairaishu, sondern auch um Mishou. Mishou sind samengezogene Pflanzen von einer Mutterpflanze. Die aus Samen gezogen Pflanzen sind nicht ganz so unterschiedlich wie bei Zairai, den es handelt sich um die Samen bestimmter Teestrauchvarietäten (Mishou), aber sie haben eine deutlich größere Varietät und ein ganz anderes Wurzelungsverhalten als Stecklings-gezogene, sortenreine Pflanzen. Immer wenn die Teepflanzen im Herbst Samen bilden wurden diese aufgehoben, um daraus neue Pflanzen für ein neues Feld zu ziehen. So finden wir hier Mishou der Yabukita, der Yamato Midori und der Sae Midori. Während stecklingsgezogene Pflanzen flach wurzeln und wenig verzweigt wurzeln, bilden samengezogene Pflanzen eine tiefe Pfahlwurzel, die sich sehr weit verzweigen kann. Die Beschaffenheit und Zusammensetzung des Bodens, nicht nur der oberen Schichten, ist für diese Pflanzen sehr relevant, bei Stecklingen hingegen ist die Düngung in den oberen Bodenschichten der wichtigere Faktor.

Wir sehen auch einen etwa 50 Jahre alten Mishou Yabukita Garten, der uns durch seine geschwungenen Formen beeindruckt. Durch den unterschiedlichen Wuchs der verschiedenartigen samengezogenen Pflanzen, hat sich über die Jahre eine ganz eigene organische Teegartenform entwickelt.

Veganer Sencha Teegarten (etwa 50 Jahre alte Mishou Yabukita)

Mit Besonderheiten geht es bei der Düngung weiter. Während die meisten Gärten organischen Dünger, aus Kuh-, Schweine- oder Hühnermist, Fischgräten und Rapstrester verwenden, verzichtet die Familie hier auf diese Stoffe. Sie möchten ohne tierische Produkte, rein vegan produzieren. Zur Düngung verwenden sie Gräser, die sie zerkleinern und zwischen die Teereihen einbringen. Um diese Gräser zu erzeugen, haben sie eigens etwa 4 ha Fläche dazu gepachtet, die sie ausschließlich zum Anbau dieser Gräser nutzen. Unser erster Gedanke dazu ist, dass diese Art der Düngung sicher eine der aufwendigsten ist, die wir je gesehen haben. Diese Art der Düngung ist erst nicht neu, sie wurde lange Zeit bis zum Aufkommen synthetischer Dünger in den 1960er Jahren angewendet. Jedoch waren zu jener Zeit die Parzellen noch deutlich kleiner. Es gibt neben dem hohen Arbeitsaufwand einen positiven Nebeneffekt, wie man uns berichtet: Durch die Abdeckung des Bodens mit den geschnittenen Gräsern wachsen weniger Beikräuter. So ist die Familie im Arbeitsbereich der Beikrautregulierung etwas entlastet. Diese sehr wenig in den Naturkreislauf eingreifende Art der Bewirtschaftung geht auch mit einem besonderen Geschmacksbild der Tees einher. Wie im Anbau, so wird auch bei der Verarbeitung darauf geachtet, dass der ursprüngliche Geschmack des frischen Blattes so weit wie möglich erhalten bleibt. Dazu gehört hier auch eine sehr schonende Endverarbeitung mit einer Final-Trocknung bei lediglich 75°C bis 80°C. Die Familie erzählt, dass sie normal finalisierten Tee, der mit zum Teil über 100°C bis zu 170°C stark erhitzt wird (hi-ire) gar nicht mehr trinken kann. Durch eine starke hi-ire rücken die sortentypischen Eigenheiten eher in den Hintergrund. Der Tee verliert an Komplexität. Auch der Duft verändert sich stark, weg von grünen und floralen Noten, hin zu eher leichten Röst- oder Nuss-Noten.

Durch die sehr schonende Endverarbeitung kann man sogar die Unterschiede im Terroir wunderbar herausschmecken. Wir probieren das am Beispiel der Oku Midori. Bei einer Parzelle handelt es sich um einen Teeberg, also eine am Hang gelegene Lage. Die andere Parzelle ist eingeebnet. Während die Oku Midori vom Teeberg einen intensiven floralen Duft, jedoch eher einen leichten Geschmack hat, ist die Oku Midori vom flach gelegenen Teefeld geschmacklich sehr tief, duftet aber weniger. Insgesamt spielen die Tees weniger mit den sonst üblichen Attributen Umami und Süße, als vielmehr mit floralen Düften, zarten Vanille-Noten oder Aromen von grünem Apfel.

vegan gedüngte Mishou Sae Midori Sträucher

Und um nun auch hier noch einmal auf den Erntezeitpunkt zu sprechen zu kommen, den wir ja in unserem Shincha-Blog auch immer wieder thematisieren, hier wird es wohl noch eine Weile brauchen, bis die Ernte losgeht. Der erste Ernteteag wird hier um den 20.Mai liegen, also verhältnismäßig spät.