Der heutige Tag führt uns in eine sehr abgelegene Region in der Präfektur Nara. Die meisten Japan-Reisenden kennen die gleichnamige Stadt mit ihren schönen Tempeln, der großen Buddha-Statue und den dort im Park freilaufenden Rehen. Uns führt es jedoch in einen ganz anderen Teil der Präfektur – eine bergige Region aus der der als „Yamatocha“ bekannte Tee stammt.
Wir treffen uns heute mit Fumiaki, Luna und Yoko. Ursprünglich war Suikyo ein Familienbetrieb, den Fumiaki von seinen Eltern übernommen hat. Sein Vater hatte den Betrieb bereits in Fumiakis Kindheit, also vor etwa 35 Jahren, auf den biologischen Anbau umgestellt. Mit der neuen Generation kamen dann aber noch weiterführende Ideen hinzu, die mit dem biologischen Anbau als Grundlage eine besondere Anbauform des Suikyo-Teegartens darstellen.
Während der Vater zwar bereits mit dem zertifizierten Bio-Anbau begonnen hatte, nutzte er wie gewöhnlich organische Bio-Düngemittel, unter anderem Fischmehl. Als sein Sohn Fumiaki den Betrieb übernahm und sich mehr und mehr den Pflanzen und ihren detaillierten Geschmacksnuancen widmete, fand er heraus, dass seine Tee-Pflanzen, die mit dem bisherigen organischen Material gedüngt wurden, Teile des Geschmacks und Geruchs der verwendeten Dünger selbst annehmen. Er stellte fest, dass wie in Japan oft üblich mit Fischmehl gedüngter Tee, somit auch fischige Nuancen in Duft und Geschmack hervorbringt.
Weil für Fumiaki der natürliche Geschmack der Teeblätter das Entscheidende ist, ließ er fortan Schritt für Schritt jeglichen Dünger weg, der aus tierischem Ursprung stammt. Fumiaki überlegte sich genau, wie er die Pflanzen auf andere Weise adäquat versorgen kann. 2005 begann er bei der Umstellung des Düngers mit Teegartenparzellen, die Fumiaki für die Herstellung von Schwarztee verwendet. Zur Düngung verwendete er von nun an Laub aus den nahegelegenen Wäldern, sowie Gräser, die er auf eigenen Flächen seither anbaut.
Die Mengen des ausgebrachten Laubs und der Gräser sind nicht willkürlich. Fumiaki berechnet wie viel Biomasse er durch die Ernte der Blätter von den Teesträuchern dem Ökosystem des Teegartens entnimmt. Genauso viel fügt er wieder hinzu. Fumiaki hat sich dabei für Laub und Gräser entschieden, weil diese hinsichtlich der Zusammensetzung den Teeblättern, am ähnlichsten sind. Hinsichtlich des in den Gräsern und im Laub enthaltenen Stickstoffs, den wohl wichtigsten Makronähstoff bei der Pflanzenproduktion, düngt Fumiaki etwa nur ein Siebtel so viel wie andere Produzenten. Allerdings enthalten die Gräser und das Laub in bedeutend höherem Maße andere Mineralien und Mikronährstoffe als sonst üblicher Dünger.
Er beobachtete nach der Umstellung auf diese Art zu düngen, dass sich ein intensiver Zitrusduft bei einigen Strauchvarietäten entfaltete, den Fumiaki zuvor nicht wahrnehmen konnte. Natürlich ist durch diese extensive Landbewirtschaftung die Erntemenge bedeutend geringer als bei anderen Teegärten. Sie liegt bei 30-50% der durchschnittlichen Produktionsmenge. Wir sehen das auch an den Pflanzen, die zwar kräftig und gesund sind, aber bedeutend weniger neue Triebe bilden, als wir es von anderen Teegärten kennen. Bis 2011 wurde der komplette Suikyo Teegarten auf diese Form des natürlichen Anbaus umgestellt.
Bei unserem Gespräch betonen Luna und Fumiaki, dass für sie die Beobachtung der Teepflanzen eine besonders wichtige Rolle spielt. Entgegen der sonst eher formalistischen Herangehensweise in der konventionellen Teeproduktion, die von vornherein Intervalle festlegt, in denen bestimmte Pestizide oder Düngemittel ausgebracht werden, beobachtet das Suikyo Team die Pflanzen, das Wachstum, den Geschmack der Blätter, die Entwicklung der Wurzeln und die Art und Schnelligkeit in der ihre Gras- und Laubdüngung zu Humus umgewandelt wird. Zu Beginn dauerte das noch sehr lang, mittlerweile kann man fast dabei zusehen. Um eine gute Kompostierung zu erreichen, sind die Reihen so geschnitten, dass nur ein sehr kleiner Spalt zwischen den Pflanzenreihen bleibt. Dadurch fällt auf den Boden so gut wie kein Sonnenlicht und er bleibt auch nach Tagen ohne Regen feucht.
In den Wintermonaten widmen sich Fumiaki, Luna, Yoko und die anderen beiden Mitglieder des Suikyo Teams dem Studium. Sie belegen Kurse und Workshops zu wissenschaftlicher Bodenanalyse, aber auch zum Thema biologisch-dynamischer Anbau-Methoden. Dieses theoretische Wissen kombinieren sie mit den Beobachtungen, die sie im Teegarten machen.
Der Suikyo Teegarten ist gegliedert in Parzellen, die sie als Teegärten (Ocha-Batake) bezeichnen, und solche, die sie als Teeberge (Ocha-Yama) kennzeichnen. Interessant ist, dass im Laufe der Generationen hier auch andere Wörter verwendet werden: Sprach noch der Großvater davon, in den Teeberg (Ocha-Yama) zu gehen, hat sich bei Fumiakis Vater eingebürgert davon zu sprechen, in den Teegarten (Ocha-Batake) zu gehen. Teegärten sind vom Menschen eingeebnete oder begradigte Flächen. Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts mit der schrittweisen Mechanisierung der Landwirtschaft wurden auch viele Teegärten flach angelegt, damit die Düngung und Ernte mit kleinen Maschinen möglich wurde. Durch diesen Begradigungsprozess wurde die Bodenstruktur verändert. Auf den flachen Parzellen im Suikyo Garten stehen aus Stecklingen gezogene Tee-Pflanzen. Diese wurzeln eher flach, was zu der von Menschen gemachten Bodenstruktur ganz gut passt. Die Oberfläche wurde bei der Anlage des Teegartens mit humusreichem Boden angereichert, wodurch die flachwurzelnden Stecklinge gut an Nährstoffe herankommen. Da Stecklinge mit ihren in die Breite wachsenden Wurzeln tiefere Bodenschichten nicht erreichen können, werden die flach gelegenen Teegärten von Suikyo zusätzlich zum Gras und Laub auch noch mit etwas Trester gedüngt um eine ausreichende Versorgung zu gewährleisten.
In den Teebergen von Suikyo sieht es ganz anders aus. Es hat hier keine Begradigung stattgefunden, und so ist die ursprüngliche Bodenstruktur weitgehend erhalten geblieben. An Standorten „Teeberg“ stehen bei Suikyo aus Samen gezogene Pflanzen, was nicht heißt, dass es sich hier vor allem um herkömmliche Zairai handelt, bei der die Herkunft der Varietät vollkommen unbekannt ist. Nein, an vielen Standorten der Teeberge kommen bei Suikyo derartige Teesträucher vor, die aus Samen bestimmter Varietäten gezogen wurden, also Mishou-Teepflanzen wie z.B. Mishou Sae Midori. Diese bilden eine Pfahlwurzel aus, die es den Pflanzen ermöglicht auch sehr tief gelegene Bodenschichten zu erreichen und die Nährstoffe daraus zu erschließen. Dazu gehören einige Zairai-Teebergen aber eben auch recht viele Mishou-Teeberge. Einige dieser sind über 50 Jahre alt, und ein Zairai-Teeberg über 100 Jahre. Mishou haben wir nebenbei bemerkt im Japan-Teereise-Blog von 2017 schon etwas näher beleuchtet.
Genau gesagt handelt es sich bei Mishou um Pflanzen, die aus Samen von genetisch gesehen einer Mutterpflanze stammen. Da diese mit Pollen von verschiedenen Vaterpflanzen bestäubt wurden, kombinieren sich so Eigenschaften von beiden Elternpflanzen. Die Misho-Pflanzen sind also eng verwandt aber eben nicht komplett identisch. Ein Strauch Mishou Sae Midori kann also der Varietät Sae Midori sehr ähnlich sein, oder aber weniger ähnlich. Durch Selektion der jungen Pflanzen lässt sich darauf Einfluss nehmen, dass sich ein Mishou Teegarten stärker in die Richtung der gewünschten Varietät entwickelt, als es durch einen zufälligen Prozess passieren würde.
Heute besichtigen wir auch zwei Teeberge, die bei Suikyo gegenwärtig mit Mishou neu angelegt werden. Im letzten Jahr begann das Suikyo-Team damit Mishou-Parzellen neu anzulegen. Um möglichst ähnliche Pflanzen zu erhalten, werden pro Saatstelle 6 bis 8 Samen in die Erde gebracht. Die daraus entstehenden Pflanzen werden im sehr jungen Stadium phänotypisch untersucht und die der Mutterpflanze – und damit der gewünschten Varietät – ähnlichste Pflanze ausgewählt. Die anderen werden aus dem Boden genommen. So entsteht eine Parzelle mit zwar samengezogenen, jedoch bezüglich des Zeitpunkts des Treibens der jungen Triebe im Frühling, Blattform und Geschmack weitestgehend ähnlichen Pflanzen. Diese sind stabilen, als wenn man einfach z.B. Sae Midori aus Stecklingen angebaut hätte. Da die Untersuchung der Pflanzen nicht einfach ist, kommt zu diesem Zweck Prof. Takeda – ein Spezialist für Teepflanzen, der in den 90er Jahren die Benifuuki züchtete. Er kann mit dem bloßen Auge bestimmen, welche Pflanze der Zielvarietät – in dem von uns besichtigten Teeberg ist das Benihikari, einer für Schwartee gut geeigneten Varietät – am ähnlichsten ist, also viele Eigenschaften der Mutterpflanze in sich trägt.