Noch am Vortag telefonieren wir mit Shutaro Hayashi, um uns zu erkundigen, was für Arbeiten denn für den nächsten Tag (25. April) geplant seien. Als wir erfahren, dass Familie Hayashi damit rechnet, dass dies der erste Tag der ersten Ernte 2016 werden wird, planen wir gleich früh am Morgen nach Kirishima zu fahren. In diesem Jahr beginnt die Ernte vergleichsweise spät. Seit mehreren Wochen ist es vergleichsweise kalt und regnerisch. Die Teesträucher wachsen sehr langsam, und durch den bewölkten Himmel ergibt sich eine Art natürliche Beschattung.

Im Wohnhaus der Familie Hayashi angekommen, empfängt uns Shutaros ältere Schwester Momoko. Sie entschuldigt sich sogleich dafür, dass es im Haus etwas unordentlich sei, obwohl eigentlich alles perfekt geordnet aussieht, wie es für die Familie charakteristisch ist. Zurzeit ist auch Shutaros zweite Schwester im Haus. Sie wohnt eigentlich in Kumamoto. Aufgrund des schweren Erdbebens und der andauernden Nachbeben ist sie jedoch vorübergehend ins Elternhaus nach Kirishima zurückgekehrt. So ist momentan viel los im Haus der Hayashis.

Shutaro, Kenji und ihr Vater Osamu sind bereits im Bio-Teegarten, der etwas abgelegen liegt. Wir fahren durch eine märchenhafte Landschaft bis wir die kleine Hochebene am Fuße des Kirishima-Gebirges erreichen. Durch den Regen der letzten Tage und bleibende Feuchtigkeit in den Wäldern leuchten dort die Grüntöne wunderschön.

Die früheste Strauchvarietät von Familie Hayashi in Kirishima ist die Strauchsorte Asatsuyu, die nun heute geerntet wird. Für uns ist es das erste Mal, dass wir bei der Ernte in Kirishima mit dabei sind. Als wir zum ersten Mal mit Shutaro und seinem  Vater Osamu den Bio-Teegarten besucht haben, waren die Asatsuyu-Sträucher, die heute geerntet werden, noch sehr klein. Daher waren die damals noch sehr jungen Sträucher der Asatsuyu Varietät noch nicht bereit geerntet zu werden. Nun ist es endlich soweit!

Neu gezogene Asatsuyu Teesträucher
Asatsuyu Sträucher im Teegarten von Familie Hayashi in Kirishima im Jahr 2016

In diesem Jahr ist die Menge noch sehr klein. Es dauert ein paar Jahre bis die Büsche viele Verzweigungen gebildet haben, die die Grundlage dafür sind, um im folgenden Frühjahr viele neue Blatttriebe hervorzubringen, die dann geerntet werden können. Zunächst sind Shutaro, Kenji und ihr Vater Osamu Hayashi damit beschäftigt, die Netze von der gut zehn Tage langen Beschattung wieder abzunehmen und einzurollen. Da die Familie bisher nur die Sträucher der Varietäten Asatsuyu und Oku Yutaka als beschatteten Tee anbietet, ist die hergestellte Menge an Kabusecha im Vergleich zu anderen Betrieben, die viele ihrer Strauchsorten beschatten, recht klein. Da viele Familienmitglieder auch bei den für die Beschattung notwendigen Tätigkeiten mithelfen, benutzen sie bisher keine Geräte zum Aus- und Einrollen der Netze, sondern machen dies gänzlich per Handarbeit.

Die Ernte übernimmt der jüngere Bruder Kenji, während sich Shutaro um die Verarbeitung kümmert. Für Shutaro ist daher natürlich die ständige Adjustierung der Dämpfungsmaschine ein wichtiges Thema. Beide kommunizieren sehr viel, auch hinsichtlich der Einstellung der Erntemaschine. Die Atmosphäre ist sehr konzentriert: Jeder hat seine Aufgaben und widmet sich diesen mit voller Aufmerksamkeit, um einen wirklich perfekten Sencha herzustellen.

Nach seinem Studium mit dem Schwerpunkt Teeanbau und Teeverarbeitung hat Shutaro an verschiedenen Standorten gearbeitet, um auch praktische Erfahrungen zu sammeln. Nun obliegt ihm die Entscheidung, wann und wieviel geerntet wird und auch wie die Verarbeitung im Detail durchgeführt werden soll. Sein Vater Osamu Hayashi begleitet alle Schritte. Vater und Sohn tauschen sich auch während des gesamten Prozesses aus. Die letztliche Entscheidung, wann welches Blattgut in welcher Größe geerntet wird, sowie alle expliziten Einstellungen der Maschinen obliegen jedoch aber am Ende Shutaro.

Während Shutaro die Teeverarbeitung durchführt, nutzen wir die Gelegenheit Osamu zu interviewen. Wir wollen wissen, wie sich seine Vorstellungen von einem perfekten Sencha von Shutaros Idealbild unterscheiden. Osamu sagt uns, dass er noch ein-zwei Tage mit der Ernte gewartet hätte, bis die Blätter ein bisschen größer wären. Auch die Dämpfung hätte er ein bisschen weniger stark gemacht. Diese Unterschiede in der Auffassung, wie der perfekte Tee gemacht werden sollte, gehen sicherlich unter anderem darauf zurück, dass sich die Teekultur sowie die Kultur der Teeproduktion in den letzten Jahrzehnten einen starken Wandel durchlaufen haben. Zudem haben Vater und Sohn auf ganz unterschiedliche Art die Teeverarbeitung erlernt. Während Shutaro an der Universität studierte, und dann in vielen verschiedenen Betrieben praktische Erfahrungen gesammelt hat, war es zu Osamus Zeiten üblich, eher ausschließlich im praktischen Umgang Stück für Stück die Teeverarbeitung zu erlernen. Nachdem Osamus Vater Haruo aus dem Krieg zurückgekehrt war, übernahm er die Verantwortung für den Familienbetrieb. Haruo Hayashi brachte später seinem Sohn Osamu alles über Teeverarbeitung bei, was er selbst erlernt hatte. Osamu beschreibt jedoch, dass dies wohl nicht sehr viel gewesen sei. Da die Arbeit in der Teeverarbeitung zu diesem Zeitpunkt noch nicht so technisiert war, gab es für jeden Verarbeitungsschritt einen Verantwortlichen und zusätzlich eine höher gestellte Person, die die Verantwortung für die gesamte Produktion innehatte. Diese war wirklich mit Leib und Seele bei der Teeherstellung. Von ihr hat Osamu am meisten gelernt.

Osamu Hayashi bei unserem ersten Treffen im Frühjahr 2014

Wie bereits erwähnt, haben sich aber auch die Idealvorstellungen von einem perfekten Sencha mit der Zeit verändert. So erinnert sich Osamu daran, wie er als Kind mit seinem Großvater Tee getrunken hat. Damals war die ideale Farbe vom japanischen Sencha Yamabuki, ein intensives Gelb. Erst zum zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts änderte sich diese Vorstellung langsam. So wird heutzutage ein Grün, das auf der Farbskala eher in Richtung Türkis tendiert, als Ideal angesehen, während früher das Grün mit einer Tendenz zu Gelb als ideale Aufgussfarbe propagiert wurde.

Nach unserem Gespräch machen wir noch einen kleinen Teegarten-Rundgang und sehen dort einen alten Bekannten: Yagi-O, den wilden Ziegenbock, der im letzten Jahr durch die Teefelder gesprungen ist. Es gibt Nachwuchs: Familie Hayashi hat sich zusätzlich eine Ziege angeschafft, und seit einem halben Jahr laufen nun auch zwei junge Zicklein durch die Teefelder und fressen dort Beikräuter, die zwischen den Teesträuchern wachsen. Im ersten Jahr war die Anschaffung von Yagi-O nur ein Test, um Erfahrungen zu sammeln, ob sich Ziegen für die Beikrautregulierung im Bio-Teegarten eignen. Dieser Versuch ist geglückt, sodass die kleine Ziegenherde nun fester Bestandteil des Teegartens ist. In wenigen Wochen wird es wohl auch wieder Nachwuchs geben.