Bei unserem Blog-Eintrag zum Miumori Kirishima Event in Paris, Oktober 2016, stellten wir bereits am Ende unseres kurzen Artikels spontan einige offene, frei aus der Luft gegriffene Fragen, bei denen es bereits in Ansätzen um das sehr weit gefasste Thema der Einbettung von Matcha in unterschiedliche Kulturen und Stilrichtungen ging, auch wenn dies aus den brainstormingartigen und etwas „provokativ“ gestellten Fragen vielleicht noch nicht ganz klar hervorgegangen sein mag. Auslöser für dieses gedankliche Spiel war eine Foto-Session mit dem Miumori Kirishima Matcha in Paris, bei dem sich der japanische, grüne Pulvertee in einer dem „Japan-Tee-Kenner“ womöglich etwas ungewohnter Umgebung präsentiert.
Wie zu jenem Zeitpunkt allerdings bereits angekündigt, haben wir begonnen, uns diesem Thema nun Schritt für Schritt tiefgehender zu widmen, zunächst einmal – eher noch im Rahmen des Brainstormings – in Form von nachfolgender Grafik (entstanden in Folge der genannten Foto-Session), die inspiriert vom Miumori Kirishima Matcha bereits kurze Zeit nach dem Event in Paris entstand, zu dem wir den Miumori Matcha präsentierten.
Zentrales Thema ist bei der Grafik die Verknüpfung der Teekultur, um den zu Pulver gemahlenem grünen Tee [ japanisch: Matcha ], mit verschiedenen Stilrichtungen im Laufe der Zeit, wobei hier fast schon provokativ mit der warnsignalartigen Farbkombination aus leuchtendem Gelb und Schwarz im Zusammentreffen des Matcha gespielt wird, der in manchen Epochen eher mit reflektierter Bescheidenheit in Verbindung gebracht wurde, und in Kontrast dazu auch immer sehr stark in der Kultur der reichen Adligen im alten Japan in luxuriösem Rahmen inszeniert wurde. Genannt sei hier zunächst nur dieser Kontrast, auch wenn sich in der Kultur des Matcha sicherlich unzählige Kontraste finden lassen würden. Matcha bewegt sich also nicht erst heute in einem verschiedene Kunstbereiche und gesellschaftliche Bereiche durchdringendem, inspirierendem künstlicherisch-kulturellem Spannungsfeld, sondern bereits seit vielen Jahrhunderten.
Um diesem Thema genauer auf den Grund zu gehen, lohnt sich ein Blick in „Der japanische Tee-Weg – Bewußtseinsschulung und Gesamtkunstwerk“ von Franzika Ehmke (1991).
Unter der Prämisse, dass der bevorzugte Charakter des Geschmacks des Tees auch etwas über die stilistischen Vorstellungen aussagt, beginnen wir bereits an einem recht frühen Zeitpunkt in der Geschichte, nämlich während der chinesischen Tang-Zeit (618-906). Wie auch bei Ehmcke (1991: S.11) Erwähnung findet, wurden damals „die Tee-Blätter gedämpft, in einem Mörser zerstoßen und zu einem Ziegel geformt“, wobei diese Art von Tee schließlich mit unterschiedlichen „Zutaten wie Ingwer, Orangenschalen, Reis, Salz und anderen Gewürzen“ gekocht wurde. In seinem „Klassischen Buch zum Tee“ lehnt LU YU jedoch alle diese Beigaben – mit Ausnahme des Salzes – ab. So brachte der Geschmack des Tees, dessen bitterer Akzent nun mehr zur Geltung kam, „das Einfache, das Selbstgenügsame und das Maßvolle“ zum Ausdruck.
Bereits in der Song-Zeit (960-1279) jedoch, wurde diese Art der Zubereitung abgelöst. Von nun an trat die Zubereitungsweise von zu Pulver gemahlenem Tee [ chinesisch: Mo-Cha; japanisch: Matcha ] in den Vordergrund. Zunächst werden dafür die feinen Blätter in einem Mörser oder später auch in einer Mühle, oftmals aus Stein, zerkleinert bzw. zermahlen, bis ein grünes Pulver entsteht. Dieses grüne Pulver wird dann mit einem aus Bambus hergestellten Teebesen [ Chasen ] in einer Schale mit warmen Wasser schaumig geschlagen und schließlich getrunken. Mit der Art des Tees änderte sich also auch die Art der verwendeten Utensilien.
„In der Tang- und besonders der Song-Zeit erwuchs eine künstlerisch-ästhetische Kultur, deren Zentrum der Tee-Genuß bildete, ergänzt von sportlichen Spielen, geselligen Vergnügungen aller Art und der Tee-Literatur. Viele Elemente dieser „Tee-Kultur“ fanden später Eingang in den japanischen Tee-Weg: das Empfinden für das Einfache und Maßvolle, assoziiert mit dem bitteren Geschmack des Tees, die medizinischen und magischen Qualitäten des Tees, das gesellige Beisammensein in Tee-Gesellschaften mit ausgefeilter Etikette und künstlerischem Anspruch. Dennoch entwickelte sich in China selbst kein „Tee-Weg“ im japanischen Sinne. Dort blieb es bei einem, wenn auch höchst verfeinerten, gesellschaftlichen Ereignis oder Zeitvertreib.“
(Franziska Ehmcke 1991: S. 13)
Während auf dem Cover des japanischen pen Magazins von 2007, dessen Ausgabe sich mit dem Thema „cha no yu design“, also „Design der japanischen Teezeremonie“, befasst, noch ein wie gewohnt traditioneller japanischer Teeraum zu sehen ist, geht es in der Ausgabe selbst dann allerdings um die geschichtlichen Entwicklungen und Strömungen der Stile von Matchaschalen, sowie letztlich auch um zeitgenössische Teeräume.
Aufgegriffen werden dabei altbekannte Elemente wie die Bildrolle. Auch die Utensilien wie die Matchaschale selbst, die Wasserkelle und Kama, wirken hier wenn überhaupt nur ansatzweise abgewandelt. Doch die Struktur der Wände, die sich beim obigen Teeraum aus einzelnen Stäbchen zusammensetzt, greift lediglich auf das im Teeraum gängige Material Holz zurück, wandelt die Art des Einsatzes im Raum aber stark ab.
Franziska Ehmcke (1991: S.123) stellt eine Einteilung der Entwicklung der Teeraum-Architektur in vier Hauptphasen dar: Der erste Entwicklungsabschnitt umfasst die Zeit, während sich Teeräume noch innerhalb des Wohnkomplexes befanden („Stil vom Tee im Studierzimmer“), während bereits in der zweiten Entwicklungsphase selbständige kleine Tee-Hütten errichtet wurden, oder als Anbau errichtet wurden. Stil dieser Tee-Hütten war der Stil des „Tees der Einsiedlerhütte“ [ Japanisch: So-An = Strohhütte ]. Während der dritten Entwicklungsstufe wurden die kleinen Teeräume erweitert, und in der vierten Stufe gab es teilweise eine Rückkehr zum Teeraum im „Stil des Studierzimmers“.
Diese Einteilung sagt, ohne die einzelnen Stilrichtungen genau zu kennen, dem Leser zwar noch nicht allzu viel über das genaue Aussehen der Teeräume in den unterschiedlichen Phasen, doch lässt sich beispielsweise bereits aus der Wortwahl „Strohhütte“ herauslesen, dass sich in jener Phase das Element der bewußten Schlichtheit stark im Vordergrund befindet. Doch selbst die fast schon armselig wirkenden „Hütten“, die dem Gedanken der Einsiedlerhütte nachempfunden waren, verwendeten auch wenn dies auf den ersten Blick nicht unbedingt zu sehen ist, seltene und damit teure Materialien, und waren auch aufgrund der Kompliziertheit ihrer Konzeption sehr kostspielig. Äußerlich betrachtet stellten sie allerdings ganz offensichtlich eine Art der Abkehr von den Teewettspielen und luxuriösen Teegesellschaften im Prunk und Glanz der höfischen Welt dar.
Widmen wir uns zunächst der „Strohütte“, die Franziskia Ehmcke (1991: S.124f) folgendermaßen beschreibt:
„Das älteste noch existierende Tee-Häuschen im ‚Stil der Einsiedlerhütte‘ (sôon) ist der – traditionell RIKYÛ [Schreibung auch: RIKYU oder RIKYUU] zugeschriebene – Taian, angebaut an einen Subtempel, den Kyôkian, des Daitokuji. Beim Taian handelt es sich um einen Zwei-Matten-Raum mit ausgeschnittener Feuerstelle, Bildnische (tokonoma) und niedrigem Eingang (nijiriguchi), letzterer allerdings noch etwas höher als bei späteren sôan-Tee-Häusern. Die Wände der tokonama sind ebenso wie die rückwärtigen Pfeiler vollständig mit Lehm ausgekleidet – ein Stil, den RIKYÛ [Schreibung auch: RIKYU oder RIKYUU] entwickelte. Rechts neben der tokonoma befinden sich zwei Fenster, von denen eines als Hängefenster (kakeshôji) konzipiert ist: ein abnehmbares Papierfenster, das im Inneren des Tee-Raums vor den in der Mauer verankerten Fensterrahmen mit Bambusgitterwerk gehängt wird. Durch einen ‚angrenzenden Raum‘ (tsugi no ma) – mit einem Hängebord in einer der Ecken – gelangt man in den sogenannten Vorbereitungsraum (katte; nicht zu verwechseln mit der Küche, mizuya).
Zwischen 1583 und 1587 baute RIKYÛ [RIKYU/ RIKYUU] auch Zwei-Matten-Räume ohne tsugi no ma. Ausschließlich Lehmwände – selbst die tokonoma war mit Lehm verkleidet – begrenzten diese Räume, einzig drei Fenster, der nijiriguchi, ein gesonderter Eingang für den vom Vorbereitungsraum her eintretenden Gastgeber (neben der tokonoma) sowie ein Wandschrank für die Tee-Gerätschaften lockerten die schlichte Konstruktion auf.“
Auch im Buch „Tokyo Houses“, erschienen im Jahr 2002, das einen starken Schwerpunkt auf neue Architektur legt, und zudem, wie der Titel schon sagt, um Häuser in Tokyo geht – also einer Stadt, die an sich nicht allzu sehr für ihre Teekultur bekannt ist – findet sich das Thema der Teeraum-Architektur. Wie auf Seite 67 berichtet wird, orientiert sich das Architektenbüro, das das oben abgebildete Haus für die japanische Teezeremonie errichtet hat, an den Ausführungen des berühmten Novellisten Junichiro TANIZAKI (1886-1965) in seinem Buch „Inei Raisan“. Das hier aufgegriffene Thema ist dabei die Beziehung zwischen Licht und Schatten, das abgeschwächt durch die mit Papier bespannten Shoji von der Helligkeit der Umgebung in das Innere des Teeraums einströmt.
Doch wie ist eigentlich die Idee eines „Raumes für das Trinken von Tee, für das Trinken von Matcha“ entstanden? Um diese Frage zu beantworten, werfen wir einen Blick in das Werk „Chasho – Geist und Geschichte der Theorien japanischer Teekunst“ von Horst Siegfried Hennemann, erschienen 1994 im Harrassowitz Verlag. Bereits im zweiten Kapitel „Yoriai-Teegesellschaften der Kitayama- und die shoin-Kultur der Higashiyama-Ära“ finden wir darauf die Antwort:
„In der Nachbarschaft des Ginkaku vom Jishô-ji [die Endung ‚-ji‘ steht hierbei jeweils für ‚-Tempel‘] in Higashiyama, den YOSHIMASA in Anlehnung an YOSHIMITSUS Kinkaku vom Rokuon-ji in Kitayama erbauen ließ, errrichtete er im shoin-Stil seine Gebetshalle Tôgudô mit der viereinhalb-Matten-Klause [Klause im Sinne von ‚kleiner Raum, Häuschen] Dôjisai, die als Grundform und erstes Beispiel eines Teeraums (chashitsu) gilt.“
(Hennemann 1994: S. 58)
Benannt wird dieser erste Baustil eines Teeraums nach der Schreib- und Lesenische, die seitlich der Schmucknische [ Japanisch: tokonoma] angefügt wird. Die Idee dieser Schreib- und Lesenische [ Japanisch: tsuke-shoin ] wurde dabei der buddhistischen Tempelarchitektur entliehen. Erstmals wurde nun das buke-aristokratische Anwesen durch Schiebewände [ Japanisch: fusuma, shôji ] in Einzelräume unterteilt (Hennemann 1994: S. 58).
So entstanden Wohn- und Empfangsräume, für die es galt den entsprechenden Raumschmuck zu entwerfen. Für derartigen Raumschmuck wurde die Grundlage von Kunstgegenständen der chinesischen Song-Zeit sowie der Ming-Zeit gebildet. Benannt wurden die aus China stammenden Kunstgegenstände als „karamono„, was sie deutlich von den später zunehmend verwendeten Kunstgegenständen japanischer Herkunft unterscheidet. Gesammelt und ausgewählt wurden die Kunstgegenstände für den ersten Teeraum von den San-ami-Kunstverständigen, sowie nach Rang und Qualität klassifiziert, als auch beurteilt für ihren Verwendungszweck. Somit verkörpern diese Gegenstände die absolute Autorität der buke-aristokratischen Ästhetiknorm (Hennemann 1994: S. 58f).
Aus der gewissenhaften Abstimmung und der stilistischen Wahrnehmung der chinesischen Kunstwerke gesammelte Erfahrungen, trugen schließlich zur Entwicklung der Stilnorm „shin“ bei. Die Stilnorm shin stellt dabei einen Kontrast zur vordergründig auf Prachtentfaltung bedachten Raumgestaltung des tôcha dar, also den Teeweltspielen der aristokratischen Kreise und den dazugehörigen prunkvollen Festivitäten (frei nach Hennenmann 1994: S. 59). Wie weit ins Detail es bei den Regeln entsprechend der Stilnorm shin nun geht, wird gut aus folgendem ersichtlich:
Die Schmucknische findet in ihrer Frühform als aufgelegtes Bodenbrett (oshita) Verwendung. Ihr Schmuck erfordert vor einer fünf- oder dreiteiligen Rollbildgruppe, zumeist einem Triptychon (sampuku-ittsui), auf einem gravierten Rotlacktisch (shoku) angeordnet, unbedingt das Dreigerät des buddhistischen Altarschmucks (mitsu-gusoku): Weihrauchgefäß (kôro), Kranich Schildkröten-Kerzenständer (tsuru-shokudai) und Blumenvase (kabin), einschließlich des Weihrauchgerätes, des Löffels (kyôji), der Stäbchen (koji), des Ständers (tate) und der Weihrauchdose (kôgô) sowie seitlich links und rechts Blumenvasen. Beim fünfteiligen Gesamtschmuck (morokazari, itsutsukazari) werden Kerzenständer und Vase zum Paar links und rechts ergänzt. Je nach Größe der Schmucknische und Art des verwandten Bildmaterials können in vorgeschriebener Weise Vereinfachungen vorgenommen werden.
Die Anordnung der Schreibnische (shoin) besteht von rechts nach links aus oberhalb aufgehängter Rufglocke (kanshô) und rechts seitlich aufgelegtem Schlegel (shumoku), Schriftrolle (jiku-mono), Pinselstütze (hikka) mit Papiermesser (katana), Tusche (sumi), Pinsel (fude), Briefbeschwerer (bunchin), dann Wasserkännchen (mizuire, suiteki), Tuschstein (suzuri) mit Stellschirm (kembyô) dahinter, zwei längliche Papierbeschwerer (keisan), Stempelkasten (inrô) und Blumenvase (suibin) mit Blumen im rikka-Stil.
(Hennemann 1994: S. 60)
Ein sicherlich nicht unwichtiges Thema ist die Frage danach, wie sehr bestimmten Regeln gefolgt werden soll, oder aber wie sehr die künstlerische Freiheit ausgelebt werden kann. Bei dieser Frage geht es wohl weniger um die Frage, wie viel Freiheit bei der Durchführung der japanischen Teezeremonie angemessen ist, denn diese ist definitiv sehr eindeutig geregelt, wenn auch abhängig von der jeweiligen Strömung. Vielmehr geht es, und darum beschäftigen wir uns mit dieser Frage, um die Gestaltungsfreiheit des Teeraums als auch der dort verwendeten Utensilien, zu denen ganz wesentlich die Matchaschale gehört. Betrachten wir zu diesem Thema als Erstes einmal die Worte von ORIBE:
Im Schlußwort seiner Leitsätze, die als Ausführungsanleitung seines eigenen Teeverständnisses gegenüber dem wabi-Tee RIKYÛS zu verstehen sind, lässt er deutlich werden, dass dieses für ihn darin besteht den wabi-Tee von RIKYÛ zu individualisieren, und ihn damit zu überwinden. Für ORIBE stellt die dem Chanoyu (warmes Wasser für den Tee = Teezeremonie) innewohnende stilistische Heterogenität ein Betätigungsfeld freier künstlerischer Entfaltung dar. Während RIKYÛ [RIKYU/ RIKYUU] besonderen Wert auf eine Introvertiertheit legt, die auf Intensivierung abzielt, äußert sich bei ORIBE eine nach außen gerichtete Intensivierung, die ihren Ausdruck in der Deformation findet. Zu beobachten ist diese Art der Deformation unter anderem bei den Matchaschalen (Schöpfung der kutsugata-Matchaschale), mit kräftiger Bemahlung des Stils der ORIBE-Keramik [ORIBE-yaki] als auch bei der Wirkung bei Betrachtung des Flächenaufteilung der ‚acht-Fenster‘ der Teehausarchitektur des Hassô-an (Hennemann 1994: S. 169).
So ändert sich bei ORIBE nicht nur der Stil seiner Matchaschalen (Matchaschale im ORIBE-Stil), sondern auch der Stil des Teeraums [Japanisch: chashitsu]. ORIBE, der den Teeraum-Stil eines RIKYÛ (RIKYU/ RIKYUU) im Stil der Strohhütte [sô-an] als einengend empfindet, verlegt den Tee aus dem Teehaus in das ‚Kettenzimmer‘ (kusari no ma), einer Zwischenform von sô-an und shoin mit einem erhöhten Ehrenplatz (jôdan) für Gäste des hohen Adels und einer Schreibnische (tsuku-shoin) ritterlicher Wohnarchitektur (Hennenmann 1994: S. 169f).