Während bei manchen Teesorten die Analyse der Namen durchaus in die Irre führen kann, scheint dies im Fall von Shincha eher eine Möglichkeit zu sein, einen spannenden Blick hinter die Kulissen zu werfen. Der Schlüssel zu allen Überlegungen ist dabei natürlich in der ersten der beiden Silben zu finden, nämlich im „Shin“, das ganz schlicht und ergreifend „neu“ bedeutet. Beim Shincha geht es bekanntlicherweise um die ersten frischen Tees des neuen Erntejahres. Doch wann werden diese in welchen Regionen geerntet?
Vor zwei Jahren, also 2015, haben wir das Glück gehabt, ein sehr frühes Shincha-Jahr mitzuerleben, was einerseits durch die Wetterlage bedingt war, und zudem dadurch, dass wir uns genau zur rechten Zeit am rechten Ort aufhielten: So erlebten wir bereits Ende März die Shincha-Ernte bei Mankichi Watanabe auf der Insel Yakushima, die etwa 200 km südlich der Stadt Kagoshima liegt, und damit noch weiter südlich als die Insel Tanegashima. Beide Inseln, also Yakushima als auch Tanegashima, gehören zur Präfektur Kagoshima, auch wenn der Hauptteil von Kagoshima, der sich auf der Insel Kyushu befindet, nicht unweit von Tanegashima und umso mehr von Yakushima entfernt ist.
Während im Jahr 2015 die Shincha-Ernte bei Mankichi Watanabe bereits Ende März begann, so fand die Ernte in der Kirishima Region erst circa drei Wochen später statt, was angesicht der Tatsache, dass es sich immer noch um dieselbe Präfektur handelt, durchaus erstaunlich klingt. Shutaro Hayashi erntete im Jahr 2015 seinen ersten Tee (Tennen Gyokuro) der ersten Ernte etwa am 20. April. In der benachbarten Präfektur Miyazaki hingegen fand die Ernte des Morimoto Shincha bei Haruyo und Shigeru Morimoto jedoch kurz zuvor statt, was unter anderem auf die bekanntlicherweise starke Sonneneinstrahlung in Miyazaki zurückzuführen ist.
Wirklich ins Erstaunen versetzte uns allerdings, dass in den letzten Jahren in Europa bei manchen Teehändlern fast zeitgleich mit den Shincha-Sorten aus dem südlichsten Ende Japans (also Kyushu u.a. mit den Präfekturen Kagoshima, Miyazaki und Kumamoto) ein Shincha aus Shizuoka auf den hiesigen Markt kam. Wie kann das nur möglich sein? Da Shizuoka rund 1000km weiter im Norden liegt als Yakushima, grob gesagt gerade einmal etwas südlich von Tokyo, müsste doch dort die Ernte minimal vier Wochen später statt finden, wenn nicht sogar eher sechs Wochen später?
Eine Antwort, die uns wirklich zum Schmunzeln brachte, wußte uns zu dieser Frage Shutaro Hayashi zu sagen, der seinem Universitätsstudium in Kagoshima viele spannende Kontakte in der japanischen Insider-Teeszene zu verdanken hat, die immer mal wieder überraschende Dinge ans Licht bringen: Natürlich kann ein Shincha bereits kurz nach der Ernte in Yakushima und Tanegashima aus Shizuoka kommen, auch wenn dort die Ernte noch garnicht stattgefunden hat. Naja, und wie?
Dafür gibt es mindestens zwei Möglichkeiten: Zum einen gibt es in Shizuoka unzählige Tee-Großhändler und Tee-Finalverarbeiter (Japanisch: Tonya-san), die Blätter aus ganz Japan einkaufen, und dann mit einem „passenden“ Namen verkaufen. „Shizuoka Shincha“ bedeutet in deren Augen nicht, dass die geernteten Shincha-Blätter aus Shizuoka stammen müssen, sondern einfach nur, dass die finale Verarbeitung in Shizuoka stattgefunden hat. Eine interessante Interpretationsweise, die sicherlich ihre Berechtigung hat, auch wenn das nicht so ganz zu unserer eigenen Tee-Philosophie zu passen scheint.
Die zweite Möglichkeit ist aber auch nicht gerade weniger überraschend: Man kann natürlich auch die Teeblätter der Ernte im vorigen Jahr im vorverarbeiteten Zustand (Aracha) einfrieren, und dann gerade kurz bevor in anderen Regionen im folgenden Jahr geerntet wird, die Finalvearbeitung durchführen. So ist man der Erste, der Shincha auf den Markt bringt, egal wann die neue Ernte stattfindet!
Offen gesagt ist unsere Denkweise da wirklich anders, denn natürlich ist es schön schon zu einem frühen Zeitpunkt im Jahr zum Genuß eines frischen Shincha zu kommen, aber macht es nicht letztlich den wirklichen Charme eines Shincha aus, dass er wirklich frisch geerntet wurde, und nicht nur frisch schmeckt? Zudem, ist es nicht schön zu wissen, woher das geerntete Shincha-Blattgut wirklich stammt, und mitzuerleben wie der Shincha bei einem bestimmten Teegarten geerntet wurde und dessen Charakter trägt?
Aus dieser Idee ist der vorliegende „Shincha Blog 2017“ entstanden, bei dem wir so gut wie jeden Tag die neuesten Shincha-Ereignisse, vor allem bei unseren Teegarten-Partnern Mankichi Watanabe auf Yakushima, Haruyo und Shigeru Morimoto in Miyazaki, und Herrn Matsumoto in Kumamoto, mitverfolgen und darüber berichten. Und in wenigen Tagen gibt es bereits die ersten Fotos aus Yakushima!